Unsere neue Religion

PEGADA

Wenn ich diese Bilder aus Erfurt sehe, macht mich das zunächst wütend. Die Pegada Demonstration steht meines Wissens für Bürgerrechte und Frieden. Sie kritisiert die Drohnenpolitik der USA und den Krieg der Nato von deutschem Boden aus. Sie ist gegen die Haltung von Pegida, die „Islamisierung zum Problem zu machen“. Auch TTIP und TISA stehen in der Kritik von Pegada. Man könnte sagen, dass es um die menschenfeindliche Globalisierungsagenda geht, gegen  Turbokapitalismus und Überwachungswahn, die nunmal zu einem beträchtigen Teil aus dem heute nicht mahr ganz so freiheitlichen Land der Freiheit  ausgehen. Dennoch gibt es Gegendemonstranten, die Pegada als Nazis beschimpfen. Warum ist das so? Es ist dasselbe Phänomen, wie ich es selber bei den Montagsdemos erfahren habe und macht zunächst ratlos.
Hier kann man sehen, wie einfache, mediengemachte Feindbilder dazu führen, wie Menschen, die etwas gegen das System machen wollen, sich gegenseitig angreifen und dann leider (auf beiden Seiten) in agressive Phrasen abgleiten.

Der Diskurs, der sich später abzeichnet, macht aber absolut Hoffnung und ist wohl der richtige und einzige Weg. Genial ist der Moment, als die „Nazis raus!“ Rufe der Gegendemonstranten übernommen werden und so recht deutlich wird, dass es viele gemeinsame Standpunkte gibt FÜR Frieden und GEGEN Rassismus. Der aufmerksame und friedliebende Gegendemonstrant wird sich, wenn er ehrlich ist, eingestehen müssen, dass es keinen Sinn macht, eine Bürgerrechtsbewegung für Frieden anzugreifen. Das Trillern mit der Pfeife erscheint schwach im Vergleich zu den  Argumenten der Pegada Demonstranten.

Der schwarze Block, der sich Antifa nennt und immer Israel und US Fahne dabei hat, ist mir auch schon in Berlin begegnet und macht mir zunehmend Angst. Um so schöner ist es, zu sehen, wie die Polizei sich des Problems annimmt. Respekt an die Veranstalter und vor allem auch großen Respekt für die Polizei!

Der wahre Feind der Freiheit

Wie der Axel Springer Chef den kritischen Leitartikel der New York Times zu „Charlie Hebdo“ um 180° umdeutet in die „finale Unterwerfung der Pressefreiheit gegenüber der terroristischen Gewalt“.

Das grausame Attentat auf die Redaktion Charly Hebdo liegt mittlerweile ein paar Tage zurück. In Frankreich herrscht immer noch Ausnahmezustand. Heute sorgte Sarah Wagenknecht mit ihrer Aussage „Wenn eine vom Westen gesteuerte Drohne eine unschuldige arabische oder afghanische Familie auslöscht, ist das ein genauso verabscheuenswürdiges Verbrechen und es sollte uns mit der gleichen Betroffenheit und dem gleichen Entsetzen erfüllen“ für ein Skandälchen (fragt sich nur warum überhaupt).
Die Gemüter sind erhitzt, quer durch die Gesellschaft. Dass Terrorangst und gleichzeitig die Angst vor der Islamisierung umgehen, ist unbestritten. Genauso unbestritten ist die Tatsache, dass diese Ängste gemacht werden (Danke an dieser Stelle auch an Springer!).freedom_of_speech

Denn obwohl die Fakten und Zahlen zur Islamisierung derart ausfallen, dass man sich gar nicht richtig vorstellen kann, hier den wahren Grund für 45.000 besorgte Bürger auf Dresdens Strassen bei Minusgraden gefunden zu haben und obwohl laut Statistik die Gefahr durch Terrorismus in Deutschland verletzt zu werden auch nach Charlie Hebdo immer noch 0,25 mal kleiner ist, als vom Blitz getroffen zu werden, sind die Menschen aufgebracht und diskutieren erregt über die Schlüsse, die man aus Charly Hebdo und der Berichterstattung ziehen sollte – oder nicht ziehen sollte.

Viel ist geschrieben und gesagt worden und vieles war nicht neu. Nicht nur Nato Chef Stoltenberg war sofort ganz vorne mit dabei, den „Zusammenhalt des Militärbündnisses“ zu beschwören (also wenn die NSA es schon nicht hinbekommt, Attentate zu vereiteln, wie soll es dann bitteschön die NATO hinbekommen), sondern auch die üblichen Verdächtigen ratterten gleich drauf los, „jetzt aber endlich Vorratsdatenspeicherung“, „mehr Videoüberwachung“  – der ganze übliche Schwachsinn eben, der bisher nichts half und auch in Zukunft nur helfen wird, unsere Freiheit weiter und beständig auszuhöhlen.

Heute aber stolperte ich über ein ganz besonderes Häppchen Wahnsinn, als ich auf Welt.de diesen Artikel vom Axel Springer Chef höchstpersönlich, Mathias Döpfner, las, der sich darin mit dem Leitartikel der New York Times zu „Charlie Hebdo“ befasst. Er geniert sich zu meiner (ausbleibenden) Verwunderung  offenbar nicht, den Inhalt des nachdenklichen und klugen Artikels – der die Entwicklungen in Frankreich kritisch hinterfragt und zur Debatte stellt, ob sich nicht gerade ein gefährliches „Messen mit zweierlei Maß“ entwickelt – auf perfide Weise umzudeuten in – wer hätte es gedacht – sein genaues Gegenteil. En detail:

Der Artikel eröffnet mit der längt überfälligen Fragestellung, inwiefern der zwanghaft provozierende Säkularist überhaupt moralisch besser ist als sein „Feind“, der Religionsfanatiker.

that there is, by implication, a sort of moral equivalence between deeply held secularist views and the “religious totalitarianism”

Im Weiteren beschreibt der Artikel die härtere Gangart der französischen Behörden, die sofort nach dem Anschlag alles, was irgendwie  verdächtig erschien,  also „Terrorismus rechtfertigend“ oder „unterstützend“ besonders ahndeten und dabei ein neues Gesetz zur Anwendung brachten, mit dem auch zahlreiche Personen in Gewahrsam gebracht wurden:

In the wake of the terror attack, French authorities began aggressive enforcements of a law against supporting or justifying terrorism, including arrests of people who spoke admiringly about the shootings at Charlie Hebdo. Not surprisingly, their actions have raised questions of a double standard — one for cartoonists who deliberately insult religion, when their cartoons are certain to antagonize Muslims at a time when anti-Muslim feelings are already at high levels in France and across much of Europe, and another for those who react by applauding terrorists.

Der Einwand des „doppelten Standards“ scheint berechtigt:  die Grenze ziehen zwischen wohlüberlegter Aufhetzung, zu der man auch die Karikaturen von Charly Hebdo rechnen dürfte, und dem Beifallklatschen zum Terror als solchem ist keine leichte Aufgabe. Weshalb wird beispielsweise der Komiker Dieudonné M’bala M’bala für „Hassreden“ festgenommen, während Charly Hebdo zum Helden stilisiert wird? Wer kann die Linie ziehen zwischen „ekelhafter“ und „gefährlicher“ Rede? Gibt es bald eine Geschmackspolizei?

But drawing the line between speech that is disgusting and speech that is dangerous is inherently difficult and risky.

Letztlich stellt der Artikel fest: Normen des Geschmacks ändern sich. Was gerade geht und was nicht geht, ist immer eine Frage der gegenwätig vorherrschenden, also zulässigen Meinung. Um am Ende vom Lied nicht gar selbst eingebuchtet zu werden, empfiehlt es sich daher (ganz allgemein, aber im Speziellen für Journalisten) in Zeiten, in denen Gesetze schon mal rasch verschärft werden und heute schon als Straftat gilt, was  gestern noch gesagt werden durfte: lieber mal dem brandaktuellen Zeitgeist entsprechen. In dieser Aussage (soweit muss ich Döpfner beipflichten) steckt Zündstoff. Denn sie heißt soviel wie: wer den Zeitgeist und die dazugehörige Meinung vorgibt, der entscheidet einzig und allein darüber, was am Ende des Tages geschrieben wird und was nicht. Kontrolle. Trotz Meinungsfreiheit.

„To judge what is fit – or safe – to print“

Auch in Zeiten von „Meinungs- oder Pressefreiheit“: Welcher Komiker am Ende im Knast landet – oder in den Geschichtsbüchern, entscheidet die Norm. Besorgniserregende Aussichten auf eine Zukunft, in der Bots im großen Stil die Meinung mitgestalten werden.

Der ebenfalls besorgte Döpfner macht nun aus diesem Satz seine ganz eigene Gruselstory. Er sieht schon die Felle der freien Presse schwimmen, weil ja alle so eine furchtbare Angst haben und sich wahrscheinlich gar nicht mehr zur Arbeit trauen. Äh, lesen sie Zeitung, Herr Döpfner?

Vor wenigen Tagen hatte ich mehrfach öffentlich meine Sorge geäußert, dass die Attacke auf eine ganze Redaktion im Zentrum der westlichen Welt langfristig eine Verhaltensänderung, eine neue Vorsicht und Zurückhaltung mancher Medien im Umgang mit islamistischem Fundamentalismus bewirken könnte – nach dem Motto: Wir wollen doch nicht provozieren – und dass dies der ultimative Sieg der Terroristen sein würde.

Ja, ja, eine „Verhaltensänderung“ – das wär mal was. Eine Verhaltensänderung mal nicht aus Angst, sondern aus Rücksicht. DAS GEHT, Herr Döpfner! Glauben Sie nicht? Wollen Sie nicht?Schade.

Jedenfalls Danke, dass Sie mich auf den mutigen Artikel in der NewYorkTimes aufmerksam gemacht haben. Ich vermute mal, sie hatten einfach zuviel zu tun – sonst wären sie sicher auch von selbst drauf gekommen, dass die wahrlich gefährlichen „Feinde der Freiheit“, wie Sie sie so liebevoll nennen, nicht immer die sind, von denen man es zuerst denkt, weil es so in der Zeitung steht, die Sie herausgeben. Manchmal erschrickt man sogar, weil sie plötzlich auftauchen, wenn man in den „Spiegel“ schaut.

 

 

 

 

„Gefährder“ (2009, Hans Weingartner)

Friedesbewegug 2.0

Some Trews

Ältere Beiträge