Die Marschrichtung ist klar. Aber wir können sie ändern.

Offener Brief an Jürgen Todenhöfer

Wer in Zeiten von Pegida mit einfachen Parolen Stimmung macht, sollte sich nicht wundern, wenn es am Ende richtig knallt, Herr Jürgen Todenhöfer.

Die Verbindung von Terrorismus und Fremdenhass, die sie mit ihrem Slogan „Nein zu Terrorismus! Nein zu Fremdenhass!“ schaffen, hat es in sich.

10427217_10152709660450838_1873150344739687716_nDieses Banner bloggte Jürgen Todenhöfer heute bei Facebook

Ich frage mich, ob sie zu dem Ergebnis führt, dass viele Menschen ihre (unberechtigten) Ängste vor dem Islam noch schüren.
Denn das Bild des Terrors, das seit Jahren in unsere Köpfe gemartert wird, ist das Bild des „islamischen Terrors“.
Wer nun Wut gegen Fremdenhass und gleichzeitig Wut gegen (nennen wir ihn mal ganz naiv) Islamterror macht, der kanalisiert Emotionen nicht nur auf propagandistische Weise, sondern der schafft auch einen überaus bemerkenswerten Twitch:

Diejenigen, die sich eben noch gegen Pegida wandten, können sich auf einmal doch ein wenig in die Rolle des Feindes versetzen, weil man ja (insgeheim!) dieselben Ängste und Befürchtungen teilt. „Der böse Islam zerstört nicht nur unsere (offen gestanden gar nicht mal mehr soooo freie Meinungsfreiheit), nein, sondern er kommt auch bis zu uns nach Hause, auf unseren Arbeitsplatz (sic!) um uns dort kaltblütig mit (deutschen?) MGs zu erschiessen!“. DAS beängstigt mit Sicherheit JEDEN Bürger, die Zahl der Angstbefallenen weitet sich in diesen Stunden rasant über die Zahl der Pegidisten aus – schau an!

Na dann können ja nun alle gemeinsam losziehen, wenn sich das Feindbild stetig und behaarlich zum Mainstream mausert, und quer durch die Gesellschaft dasselbe „Nein“ geschrien wird und selbst diejenigen, die es eigentlich besser wissen sollten, zum „Kampf gegen“ aufrufen. Ein „Nein!“ zum Dialog, ein „Nein!“ zur Debatte, ein „Nein!“ zu eigentlich allem, was irgendwie böse daherkommt. So ist es gut! In einer Gesellschaft, die genau weiss, wer die Bösen sind, da hat man es leichter, das wusste schon so mancher mächtigste Mann der Welt, wir erinnern uns an diese Achse des..

Man sollte diesem suspekten Dresdner Rentner besser nicht zu genau zuhören, diesem Naziarsch! Denn sonst würde man womöglich erfahren, dass er seit Jahren in Armut lebt, keine Schulbildug erfahren hat und sich seine eigene Würde nur noch durch falsche Feindbilder erhalten kann, die er Tag für Tag von der Blödzeitung vermittelt bekommt. (Ja so sind sie, die Menschen. Und Psychologen schreiben tatsächlich Bücher darüber.)

Feindbilder, die uns täglich ins Hirn flimmern, pünktlich um acht, Feindbilder, die nicht frei erfunden sind, sondern stets mit einer Prise Wahrheit und Drama gewürzt daherkommen, denn die Brutalität von ISIS und Co ist leider sehr real, ja – das ist sie. Und ganz real wurde sie über Jahre geknetet und massiert, bis sie zu dem werden konnte, was sie heute ist: Der nackte Wahnsinn in einer mit Krieg und Chaos überzogenen Region, in der ganz normale Menschen lebten, Menschen wie Du und ich.
Doch eines Tages kamen wir, der Westen, dorthin und haben diese ganz normalen Menschen beklaut, ausgeraubt und gebrandschatzt, sie angegriffen und ausgeplündert, sie gegeneinander aufgehetzt, sie geködert, aufgeheizt, ausgebildet und trainiert, bewaffnet bis unter die Zähne (ach ja, rein zufällig, mit deutschen MGs) und sie in mancherlei Hinsicht gefördert und bestärkt, genau das zu werden, was sie heute sind.

All diese Dinge bleiben aber weiterhin im Verborgenen. Sie, Herr Todenhöfer, wissen all diese Dinge. Ich weiss sie auch. Und ein paar Tausend andere, die sich für politisches Kabarett interessieren, wissen auch manchmal Bescheid, bevor sie wieder anfangen zu vergessen, weil ja die Mechanismen nunmal so sind wie sie sind in unserer Gesellschaft und man muss ja auch am Ball bleiben, nicht wahr.

Aber Sie, Herr Todenhöfer, wissen es besser. Sie waren sogar neulich bei der ISIS, angeblich, weil es ihnen um Dialog geht. Und dennoch skandieren sie ein „Nein!“

Hören sie bitte endlich auf damit und fangen Sie an, für eine andere, weniger verlogene Welt einzutreten. Eine Welt die nicht immer nur „Nein!“ schreit, sobald irgendetwas passiert, was uns auf die Nerven geht.

Das, was in Wirklichkeit schwer auf dem Nerv unserer Zeit und dieses Planeten lastet, ist die große Lüge der Vereinfachung, das Vereinfachen von Komplexität mit der Motivation von Kontrolle. Die Tatsache, dass das große Ganze verwischt wird. Im Verborgenen bleibt. Oder auch das Gegenteil davon: die verwirrende Dauerflut von Informationen, die die einfach zu verstehenden Tatsachen, wie die andauernde Umverteilung von unten nach oben oder die verheerende Umweltzerstörung durch Konzerne irgendwie vernebelt, verblasst, verwässert. Müde suchen wir den Fehler im System, wissend, die „Wahrheit“ niemals finden zu können. Und ergeben uns irgendwann in unsere Ohnmacht; versuchen uns einzureden, dass schon alles irgendwie okay ist und wir die Guten.

Das große Narrativ ist eine Geschichte, die seit Jahrzehnten unverändert bleibt in ihrer Tendenz. Alles bleibt beim alten. Die Schere driftet auseinander, die Demokratie krepiert vor sich hin. Wir sind reaktionär geworden und träge. Wir brauchen „die Bösen“, um uns zu bewegen, wir brauchen sie greifbar. Pegida hat es geschafft, innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende auf die Strasse zu bringen, auf den Gegendemonstrationen, wo „Nein!“ gerufen wurde, zurecht. Aber was passiert, wenn Pegida zerrinnt? Was ist dann mit den Hunderttausend? Geht das Narrativ dann weiter, als wäre nichts passiert? Könnte sich der offenbar vorhandene Wille, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen, nicht auch ohne Feindbild kraftvoll äußern? Können nicht auch Hunderttausend für eine von Waffen freie Wirtschaft, für bessere Bildung und Sanierung der Sozialsysteme auf die Strasse gehen? Ist es vielleicht langsam an der Zeit, das Narrativ zu ändern, in dem wir leben?

Solange wir im „Nein!“ stecken bleiben und uns gegenseitig aufs Dach steigen, werden wir im Treibsand der Hilflosigkeit versinken, wie andere vor uns.

Erst, wenn wir uns wieder die Zeit nehmen. Erst wenn wir uns wieder öffnen. Erst wenn wir eine Idee haben von der Welt, in der wir leben wollen, eine Idee haben von Frieden und Miteinander, die über eine Parole hinausgeht. Erst, wenn wir endlich mit einem überzeugten „Ja!“ auf die Strassen gehen, weil wir nicht nur die Dinge benennen können, die uns wirklich kaputtmachen, sondern auch unsere Ideen formulieren, wie man die Dinge ändern kann,  – erst dann kann es Hoffnung geben. Erst wenn wir wirklich eine neue Welt wollen, eine Welt der Versöhnung und der Liebe, eine Welt der Verbrüderung und des Miteinanders, erst wenn wir auch mit denen reden, die uns zunächst fremd sind, erst wenn Dresden und der Rest von Deutschland wieder arm in arm gehen können und sich in die Augen sehen, dann haben wir einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Und den Marschbefehl zwar vernommen. Uns dann aber für einen gemeinsamen Spaziergang entschieden, in entgegen gesetzter Richtung.

Fangen wir an, die Geschichte mit „Ja!“ zu erzählen. Die Geschichte des „Aufeinander Zu Gehens“, die neue Geschichte einer Menschheit, die einfach aufhörte, sich gegenseitig zu zerstören, weil sie irgendwann verstanden hatte, dass es besser funktioniert, für eine gute Idee einzustehen, als gegen andere zu wettern.

Ich denke, ich habe ein paar gute Ideen für die Zukunft. Sie auch? Ich bin mir dessen sicher!

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